Entwicklung seit 1969 bis 1990

Kurz nach seiner Emeritierung im Jahr 1969 starb Prof. Rheinwald. Als Nachfolger wurde Hartmut Albrecht auf den Lehrstuhl "Kommunikationsforschung und landwirtschaftliche Beratungslehre" berufen. Er hatte sich in Göttingen mit einem Buch über "Innovationsprozesse in der Landwirtschaft" habilitiert und wurde kurz nach seinem Amtsantritt zum Dekan gewählt. Es war die Zeit der Unruhe an den Universitäten. Mit der Neugliederung der Fakultäten entstand aus dem alten Institut für Beratung und der Abteilung für ländliche Soziologie des Institutes für Agrarpolitik (Professor Ulrich Planck) das Institut für Agrarsoziologie, Landwirtschaftliche Beratung und Angewandte Psychologie. Das eigenständige Fachgebiet Psychologie ist damals unter Leitung von Frau Professor Hruschka aus dem alten Institut für landwirtschaftliche Beratung heraus entstanden.

Die Neubesetzung des Lehrstuhles fiel in eine Zeit einschneidenden Wandels in der europäischen Agrarpolitik (Mansholt-Plan, Höcherl-Plan u.ä.). Unter verstärkter internationaler Konkurrenz sollten "lebensfähige Betriebe" entwickelt, den aus der Landwirtschaft Ausscheidenden Hilfen zum Übergang in andere Berufe gegeben werden (sozio-ökonomische Beratung). Jetzt zeigte sich, dass sich die staatliche Beratung über zwei Jahrzehnte hinweg fast ausschließlich um Inhaltsfragen gekümmert hatte (Produktionstechnik, Arbeitswirtschaft, Markt, Betriebswirtschaft u.a.). Methodenfragen waren praktisch unberücksichtigt geblieben. In dieser Situation haben Hruschka und Albrecht die ersten Methodenkurse in zahlreichen Beraterfortbildungsinstitutionen des deutschsprachigen Raumes gehalten und dort dieses Arbeitsgebiet eingeführt.

Im Forschungsbereich entstand aufgrund der aktuellen Lage ein Arbeitsschwerpunkt im Bereich der sozio-ökonomischen Beratung; später ergänzt durch Arbeiten im Bereich Organisation und Management von Beratung, des Betriebsleiterverhaltens, der Methodik der Erwachsenenbildung (besonders bezogen auf schwer erreichbare Gruppen), der Fachkommunikation, des Informationsverhaltens von Landwirten und von methodischen Problemen der Ernährungs-, Haushalts- und Verbraucherberatung.

Im Inland ergaben sich drängende Forschungsaufgaben vor allem aus den zunehmenden Schwierigkeiten in der Landwirtschaft (existenzgefährdete Betriebe), Konflikten zwischen Bewirtschaftungsinteressen von Landwirten und Umweltinteressen der Öffentlichkeit, der Suche nach "kompatiblen" Lösungen, und - auf der Seite der Beratung - nach Möglichkeiten, die Funktionsfähigkeit der Offizialberatung auch unter erschwerten Bedingungen (Vermehrung von Hoheits- und Verwaltungsaufgaben bei stagnierender bis rückläufiger Kapazität) zu erhalten.

Für existenzgefährdete Betriebe entstanden spezielle Beratungsangebote der Offizialberatung und der Kirchen. Der Erfahrungsaustausch unter den Beratern des Bundeslandes Baden-Württemberg wurde vom Fachgebiet angeregt und begleitet und mündete auch in eine bundesweite Zusammenarbeit.

Neu entstanden ist nach 1975 der Bereich der entwicklungsländerbezogenen Forschung in der Beratung, teils aus Anfragen nationaler und internationaler Institutionen, teils aus der Entwicklung des Tropenzentrums in Hohenheim und dem Sonderforschungsbereich West-Afrika. Abgeschlossen sind Arbeiten in Bezug auf Probleme von Situationsanalysen, Kommunikation (Ägypten), Organisation und Methodik (Iran, Türkei, Ägypten), vergleichende Organisationsgeschichte (Taiwan), Bedürfnisermittlung für Entwicklungsplanung (Iran). Die Nachfrage in diesem Bereich wächst. Das gilt auch für Anfragen von Promotionskandidaten aus Ländern der Dritten Welt. Im Rahmen der Partnerschaft mit der Landwirtschaftlichen Universität in Beijing (China) wurde Beratungsforschung initiiert und ein Institut für Beratung aufgebaut. In den letzten Jahren sind vor allem Fragen der interkulturellen Kommunikation, der Ermittlung einheimischen Fachwissens ("indigenous knowledge"), Organisation und Management, Partizipation und Selbsthilfe, Kooperation in "knowledge systems" (Forschung, Beratung und Anwendersystem), Funktion von Beratung in "farming systems research" und bei der Entwicklung standort- und sozialgerechter Innovationen in den Vordergrund gerückt.

Für die Praxis der Beratung in der Dritten Welt wurde 1981 unter maßgeblicher Beteiligung des Fachgebiets das zweibändige Handbuch der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit veröffentlicht, 1987/88 neu bearbeitet und in zweiter Auflage auch in Französisch und Chinesisch (erster Band), Englisch und Spanisch (beide Bände) herausgegeben. Ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter des Fachgebiets wirken mit bei der Durchführung von Fortbildungsseminaren und -workshops für deutsche und ausländische Fachkräfte bei der DSE in Bad Honnef und Feldafing, bei der LBL in der Schweiz, bei der Ev. Akademie Bad Boll und weiteren Kooperationspartnern.

Prof. Dr. Erna Hruschka

Fachgebiet Verhaltensforschung und Angewandte Psychologie

Erna Hruschka (geb. 18.12.1912) begann 1951 als technische Assistentin bei Prof. Rheinwald. Erst später, zwischen 1952-1956 studierte sie Psychologie in Tübingen und kehrte anschließend wieder zurück an das Institut, wo sie 1959 promovierte. Ihre Habilitation, der “Versuch einer theoretischen Grundlegung des Beratungs-prozesses” war ein Meilenstein für die weitere Institutsarbeit. Zusammen mit Hartmut Albrecht entwickelte sie in den 70er Jahren Methodenkurse für Fach-kräfte aus der Land- und Hauswirtschaftlichen Beratung aus Italien, Schweiz und Österreich. Ihre Vorlesungen hinterließen bleibenden Eindruck bei den Studierenden. Aber sie lehrte nicht nur, sondern bot auch psychologische Beratung bei Lern- und Lebens-problemen an. Sie wurde nach M. von Wrangell Hohenheims zweite Professorin, und als sie 1974 in Ruhestand ging, war das Fach Psychologie in Hohenheim dauerhaft eingeführt. Sie starb am 24.03.1996.